Stellt Euch vor, Ihr solltet nachts im Zelt ‘mal raus, aber draußen steht bereits die Sonne hoch am Himmel. Da dreht man sich doch lieber nochmal um, und wartet dann vollends auf den Wecker. Als der Garmin aber nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch keinen Ton von sich gegeben hat, schaue ich auf Claudias Uhr: Da ist es gerade kurz nach Eins..!
Als der Garmin dann wirklich piepst, ist es 7.30 Uhr und draußen scheint die Sonne immer noch, es wird also wohl ein freundlicher Tag werden.
Nach dem kurzen, gewohnt kargen Frühstück packen wir zusammen und bauen zügig das Zelt ab.
Der Stugwart hatte gestern Abend keine Lust mehr, noch nach uns zu sehen und heute Morgen habe nun ich Keine auf ihn! Vor allem sehe ich auch absolut keinen Grund, hier für irgendetwas bezahlen zu müssen!
Ich bin etwas angesäuert, weiß aber selbst nicht recht warum. Und als ich dann auch noch in die feuchten, kalten Schuhe hinein muss, hebt das meine Stimmung ebenfalls nicht wirklich. Im Gegenteil! Kurz darauf sind wir dann fertig und verschwinden. Jetzt kann der Stugwart ruhig kommen!
Zuerst müssen wir nun wieder das Stück im Moorwasser eingesunkenen Bohlenweg überwinden, der hier auf die Halbinsel mit der Partestuga führt. Eine Umgehung gibt es leider nicht!
Das ist insofern kritisch, weil man nie so recht weiß, wie weit die bereits unter dem Wasserspiegel liegenden Bohlen dem Gewicht noch weiter nachgeben. Und da sie ständig im Wasser liegen, sind sie auch entsprechend schmierig und bieten den Sohlen absolut keinen Halt. Schon ein leichtes Nachgeben lässt unsere Schuhe immer sofort entlang der neuen Neigung rutschen, und die Stöcke finden im Moor natürlich auch keinen Grund, um sich auf ihnen abzustützen!
Wir meistern aber auch diese Aufgabe und folgen dann dem Wegweiser nach links, in Richtung Westen. Schon kurz darauf nehmen uns wieder recht angenehm zu gehende Waldwege auf. Der Kungsleden führt hier durch einen Mischwald, in dem sich nun auch Säulen-Fichten und einige Kiefern zu den Birken gesellen. Und natürlich sind hier auch wieder große Mengen von Moskitos unterwegs. Aber das neue Mygga hält sie wirklich zuverlässig in Schach. Oder besser: Auf Distanz!
Aber man muss sich wirklich erst daran gewöhnen, dass einem die Stechmücken – nach der ersten Anwendung – immer noch dicht um den Kopf herum schwirren, und man sie daher auch weiterhin giftig in den Ohren sirren hört. Aber sie landen nun auf der eingeriebenen Haut nicht mehr! So dauert es dann auch eine ganze Weile, bis man zu diesem schwedischen Mücken ein echtes Vertrauens-Verhältnis aufgebaut hat.
Nach der ersten Anwendung beobachtet man dann, wann sich die ersten Moskitos wieder vorsichtig auf der Haut niederlassen. Das ist (meist nach 15 bis 30 minuten) der richtige Augenblick, die Anwendung zu wiederholen. Und dieses zweite Eincremen verschafft einem dann wirklich für geraume Zeit Ruhe!
Inzwischen hat sich der Himmel nicht nur bewölkt, sondern es hat vorübergehend auch wieder geregnet. Als es dann aufhört, lassen wir die Regenhosen lieber gleich an und öffnen nur die langen, seitlichen Beinreißverschlüsse zur besseren Belüftung. So passieren wir den Stuor Tata, einen beeindruckend großen See.
In diesem Bereich des Kungsledens werden wir nun durch ausgedehnte Tiefebenen geführt. Schade ist eigentlich nur, dass dabei ganz zwangsläufig auch ausgedehnte Moor und Sumpfflächen zu durchqueren sind. Die Millionengeschwader von Moskitos gedeihen hier natürlich prächtig und sind daher nicht mehr extra zu erwähnen. Man hält sie sich eben vom Hals und ignoriert sie dann möglichst! Und werden es doch einmal zu viele, dann zieht man einfach vorne nur den Mückenschleier herunter, den wir dazu immer griffbereit über dem Kopf tragen! So wird dann auch sicher verhindert, dass man – einmal außer Atem gekommen – wieder welche einatmet!
Durch den Regen der letzten Tage ist der Boden hier im Tiefland nun völlig mit Wasser gesättigt und man sinkt schon unmittelbar neben dem Weg tief ein. Hier wäre ein Zelten absolut unmöglich!
Und weil das Petrus ganz offensichtlich doch noch nicht genug ist, fängt es kurz darauf erneut an zu regnen. Und dieses Mal können wir uns gerade noch gegenseitig in die Ponchos helfen, bevor der Himmel einmal so richtig seine Schleusen öffnet! Und mitten in diesem Wolkenbruch habe ich dann mein absolutes Highlight an Natur-Erlebnis: Während ich stumpfsinnig vor mich hin trotte, nehme ich nämlich vor mir plötzlich eine langsame Bewegung wahr. Ich hebe den Kopf etwas und bleibe dann wie angewurzelt stehen. Nur drei Meter vor mir, direkt neben dem Weg, ist ein Auerhuhn aufgestanden und blickt mich nun völlig unbeweglich an!
Inzwischen läuft Claudia von hinten auf mich auf, da ich für sie viel zu abruppt stehengeblieben bin.
“Was ist los..?“, ruft sie laut durch den Regen.
“Rechts vor mir steht ein Auerhuhn am Wegrand..!“, antworte ich leise.
“Was..?“, fragt sie erneut laut nach, weil der Regen gerade unglaublich auf die Kapuzen unserer Ponchos prasselt.
Ich drehe mich zu ihr um und nehme den Finger vor die Lippen. Dann zeige ich wieder langsam nach vorne. Das Auerhuhn steht immer noch völlig unbeweglich am gleichen Platz und sieht uns nur an.
Leider habe ich in diesem Wolkenbruch keine Chance, die Kamera herauszuholen um ein Foto zu machen. Aber ich vermute spontan, dass die Henne dort nur deswegen so unbeweglich stehen bleibt, weil sie junge Kücken führt, die nun im starken Regen wohl irgendwo unter ihr kauern. Sehen kann ich leider keine
“Außenrum..!“, sage ich daher etwas lauter zu Claudia, dann gehe ich im rechten Winkel nach links vom Weg herunter, um die Henne zu umgehen. Claudia folgt mir. Das gibt unseren Stiefeln nun zwar den Rest, aber dafür setzt sich die Henne ganz langsam wieder hin, wie wir beobachten können.
Sie ist dann immer noch am gleichen Platz, wo sie ganz am Anfang war, sehen wir als wir etwas weiter wieder auf den Weg zurückkehren.
“Mann, ist die groß gewesen..!” sprudelt Claudia dann los und will wissen, ob ich vielleicht Kücken gesehen habe.
“Nein.., leider nicht..!” antworte ich ihr. “Aber so, wie sie sich verhalten hat, hatte sie ganz bestimmt welche..!”
“Doch..!“, bestätige ich Claudia “Die war ja wirklich recht groß gewesen..!”
Und ich habe so nahe vor ihr gestanden, dass mir heute zum ersten Mal diese sehr fein gezeichnete, intensiv-rote Linie über dem Auge der Henne aufgefallen ist. Wie ein ganz dünner Lidstrich.
“Mädels halt..!“, schmunzle ich still in mich hinein.!
Dass ich keine Fotos von ihr schießen konnte, ist natürlich schade. Aber wie sagt Claudia immer so treffend:
“Manche Dinge muss man sich halt gleich anschauen..!“
Kurz darauf lässt der Regen wieder nach und hört dann sogar ganz auf. Aber das ist für unsere Schuhe inzwischen nicht mehr relevant, denn die sind natürlich längst wieder völlig “durch”! Und auch heute kam die “Suppe” in ihnen wieder ausschließlich von oben, über die Zungen! So muss ich meinem neuen Hanwag-Tatra heute erneut ein Kompliment machen. Denn selbst wenn ich in ihm klatschnasse Füße habe: Einen besseren Stiefel habe ich unterwegs noch nie am Fuß gehabt und ich bin mir völli sicher, jeder andere Schuh hätte den Geist unter diesen Bedingungen wohl ebenfalls schon längst aufgegeben!
Nun ist es nicht mehr weit bis nach Kvikkjokk und wir gehen trotz widriger Bedingungen ziemlich zügig. Heute wartet nun wieder einmal eine größere STF-Fjäll-Station auf uns, die nicht nur an ein Straßennetz, sondern auch an ein Stromnetz angeschossen ist. Das bedeutet: Wir können in Kvikkjokk ganz sicher mit Karte bezahlen (und hoffentlich auch etwas Bargeld holen). Aber in erster Linie freuen wir uns heute auf eine heiße Dusche!
Kvikkjokk ist nun bereits das Ende des Zweiten, von insgesamt fünf Kungsleden-Abschnitten, wir haben nach 10 Tagen also schon fast Halbzeit.
Als wir die Station dann endlich erreichen, tut uns wieder mal alles weh! Es ist schon faszinierend, wie man unterwegs Schmerzen und Wehwehchen weckstecken und unterdrücken kann. So lange eben, bis man endlich “loslassen” kann, weil man die Etappe gemeistert und sein Ziel erreichthat. Aber spätestens dann kommt schlagartig alles “raus”. Und natürlich auch alles auf einmal!
Wir ziehen noch vor der Türe die durchgeweichten Stiefel aus und melden uns dann in der Reception an. Anschließend gehe ich in Crocks hinaus, ziehe die Schuhbändel aus den Stiefeln und bürste am Brunnen auch noch den letzten Schlamm von ihnen herunter. Dann bringe ich sie hinauf in den beheizten Trockenraum, und schiebe in jedem von ihnen den Luftschlauch eines speziellen (elektrischen) Schuhtrockners ganz nach vorne. So wird nun die ganze Nacht über warme Luft hineingeblasen, was sie bis morgen früh doch eigentlich durchtrocknen lassen sollte!
Dann gehen wir gemeinsam Duschen und ziehen uns um. Und während Claudia noch etwas Wäsche von Hand “herausdrückt”, damit diese ebenfalls über Nacht im Trockenraum trocknen kann, bereite ich uns in meinem neuen Lieblings-Topf wieder etwas Tee und eine heiße Suppe zu. Dann lassen wir den Tag langsam und sehr harmonisch auslaufen!
Zusammenfassung 10. Etappe: 16,3 Kilometer, 356 Höhenmeter im Anstieg, 528 Höhenmeter im Abstieg – Dauer: 10, 5 Stunden.
Wenn Du gerne noch mehr über den Kungsleden erfahren möchtest, dann empfehlen wir Dir unbedingt den kleinen Reiseführer von Michael Hennemann:
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